(openPR) (Stuttgart) 65 Jahre nach seinem Tod droht das Werk des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer (1888-1943), endgültig aus den Museen weltweit zu ver-schwinden. Der Grund: Die Werke aus dem Nachlass des ausgesprochen viel-seitigen deutschen Bauhaus-Künstlers werden von einem Teil der Erbenge-meinschaft der Öffentlichkeit vorenthalten. Um dies zu ändern und das Werk ihres Großvaters für Kunstinteressierte aus aller Welt zu erhalten, prozessiert die Enkelin des Künstlers, Janine Schlemmer, seit Jahren um ihr Mitsprache-recht. Rechtlich steht ihr ein solches zu, faktisch verwehrt ihr die Miterbin ih-ren Einfluss. Nachdem auch ihr jüngster Mediationsvorschlag unbeantwortet blieb, wagt sie nun den Schritt an die Öffentlichkeit. „Ich habe alle persönli-chen und rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um zu einer einvernehmli-chen Lösung zu kommen, und gehe nun an die Öffentlichkeit in der Hoffnung, doch noch das künstlerische Erbe meines Großvaters der Kunstwelt bewahren zu können und zu meinem Recht zu kommen“, sagt Janine Schlemmer.
Neben der Öffentlichkeit sind bisher Janine Schlemmer und die Kunstwerke ihres berühmten Großvaters die Leidtragenden eines Rechtsstreits, der seit dem Jahr 2001 geführt wird, dessen Ursprünge jedoch bis ins Jahr 1987 zurückreichen. Da-mals starb Anna Helene, genannt „Tut“, Schlemmer, die als Witwe und Nachlass-verwalterin des Künstlers sein Werk ganz in seinem Sinne für Kunstinteressierte be-wahrt und zugänglich gemacht hatte. Mit dem Tod der Witwe gingen Hunderte von Kunstwerken in den gemeinsamen Nachlass der beiden Erben Ute Jaina Schlem-mer, der Tochter Oskar Schlemmers, und seiner damals 23-jährigen Enkelin Janine Schlemmer. Janine Schlemmers Mutter Karin*, die Schwester von Ute Jaina Schlemmer, war bereits früh verstorben.
Kein Mitspracherecht
Damals übernahmen Ute Jaina Schlemmer und ihr Sohn Raman die Verwaltung des künstlerischen Nachlasses. Janine Schlemmer stimmte dem zunächst zu, nicht ah-nend, dass sie damit sämtlichen Einfluss und im Grunde ihr Erbe verlieren würde. Das Landgericht Stuttgart kommt im Zuge eines Prozesses 2007 zu dem Ergebnis, dass Ute Jaina Schlemmer ihre Befugnisse „mehr oder weniger dazu missbraucht, die Klägerin von der Verwaltung des Nachlasses fern zu halten, ohne deren berech-tigte Belange zu berücksichtigen.“
Janine Schlemmer sagt: „Als ich feststellen musste, dass ohne mein Wissen fast sämtliche Leihgaben aus deutschen Museen – darunter das gesamte Bildmaterial zum Bauhaus-Unterricht „Der Mensch“ aus dem Bauhaus-Archiv Berlin – herausge-holt und an einen mir unbekannten Ort gebracht wurden, und man mich mit hohen Geldforderungen für angebliche Nachlasstätigkeiten konfrontierte, wurde mir klar, dass ich aus meiner passiven und duldenden Rolle heraustreten musste. Ich ver-suchte, die Situation durch Gespräche zu lösen – doch ohne Ergebnis.“ Weder ein substanzielles Mitspracherecht noch die Teilhabe an den Zahlungen aus der Verwer-tung von Urheberrechten wurden ihr von ihrer Tante ein¬geräumt. Selbst Informatio-nen über den Umfang oder Verbleib vieler Kunstwerke musste sie sich selbst be-schaffen. Stattdessen drangen Beschwerden aus der Kunstwelt zu ihr über die Ver-waltung der wertvollen Werke.
Eindeutige Gerichtsurteile
Nachdem sie jahrelang persönlich nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht hat-te, strengte Janine Schlemmer schließlich 2001 einen ersten Prozess an, um Aus-kunft über ihr rechtmäßiges Erbe zu erhalten. Dieses Verfahren wurde in letzter In-stanz vom Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, und die Miterbin Ute Jaina Schlemmer verurteilt, Auskunft über den Umfang und den Verbleib großer Teile des Nachlasses zu erteilen. Dies hat Ute Jaina Schlemmer bis heute nicht getan.
Janine Schlemmer sah sich daher gezwungen, eine weitere Klage gegen ihre Miter-ben zu erheben, in der es um einen Teil der Werke geht. Dieser Klage gab das Land¬gericht (LG) Stuttgart am 30. Januar 2007 statt. Laut Urteil soll sich Ute Jaina Schlemmer 127 Kunstwerke mit Janine Schlemmer teilen. Die Berufung der Tante war erfolglos, und das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte am 29. Oktober 2007 das Urteil des LG Stuttgart. Somit ist das Urteil des LG Stuttgart rechtskräftig. Trotz dieser klaren gerichtlichen Entscheidungen hat die Enkelin Schlemmers weiter kei-nen Einfluss auf die Verwaltung und Nutzung ihres Erbes. Ihre Tante lebt mittlerweile in Italien und der Schweiz. Vor Gericht ist sie nie erschienen. Ihr Sohn Raman Schlemmer verwaltet die Kunstwerke ohne Mitsprache seiner Cousine.
Lösung in Sicht?
Janine Schlemmer geht nun an die Öffentlichkeit, in der Hoffnung doch noch eine Lösung im Sinne Oskar Schlemmers zu erreichen. Ihr Ziel: Sie möchte die Werke aus dem Nachlass zwischen sich und ihrer Tante aufteilen und zumindest die ihr zu-stehenden Kunstwerke der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Ihr Wunsch: „Ich möchte endlich wieder eine große Oskar Schlemmer-Retro¬spektive in Deutschland sehen, nachdem die letzte 1977 in Stuttgart stattgefunden hat. Die Werke meines Gro?vaters sollen weiter in Museen, Archiven, Stiftungen und Ausstellungen zu se-hen sein, und auch das Triadische Ballett soll endlich wieder tanzen dürfen.“
Wenn ihre Tante nicht einlenkt, droht Versteigerung eines erheblichen Teils des künstlerischen Nachlasses. „Schließlich bleibt meiner Mandantin nur noch die Mög-lichkeit, die Leihverträge zu kündigen und die Werke ihres Großvaters versteigern zu lassen“, erklärt Dr. Walter Hagena, der Anwalt Janine Schlemmers. „Leider kann meine Mandantin nur so die ihr zustehende Teilhabe am Nachlass Oskar Schlem-mers durchsetzen.“ Betroffen davon wären Werke, die weltweit in Museen zu sehen sind – von der Staatsgalerie Stuttgart über das Kunstmuseum Basel, das Museo Cantonale d`Arte Lugano bis hin zum Museum des 20. Jahrhunderts in Wien und dem Baltimore Museum of Modern Art.









