(openPR) Die Entstehungsgeschichte einer konzertfähigen Bratsche.
Portrait und Interview mit der Geigenbauerin Nele Jülch anlässlich der Ehrung als Jahresbestmeisterin im Geigenbau-Handwerk.
Die Luft duftet nach frisch gehobeltem Holz. Auf der Werkbank liegen stark gekräuselte Späne, daneben liegt der “Boden“ einer Viola und im Hintergrund sorgt ein gemütlicher Kachelofen für eine wohlige Atmosphäre. Auf den ersten Blick erscheint es, als hätte man hier gerade einem Engel die Löckchen geschnitten. So sieht der Arbeitsplatz der Geigenbauerin Nele Jülch aus. In ihrer Münchner Werkstatt entstehen neue Geigen, Bratschen und Celli in moderner und in barocker Ausführung. Für die immer beliebter werdende historische Aufführungspraxis werden zunehmend Instrumente in historisch rekonstruierter Ausführung, sog. „Barock- Instrumente“ benötigt. Daher unternimmt Frau Jülch auch „Rückbauten“ an geeigneten Geigen, Bratschen und Celli.
„Wenn Sie als Musiker zu mir kommen und ein neues Instrument wünschen, ist das Wichtigste was ich von Ihnen erfahren möchte: Welche Klangvorstellung haben Sie? Das verstehe ich am besten, wenn ich Sie spielen höre. Meine Geigen, Bratschen und Celli tragen eine sehr persönliche Handschrift. Sie merken schnell, ob Sie sich zu einem Instrument hingezogen fühlen, “ erklärt die Geigenbauerin.
Wichtig ist dann auch die „Klangarbeit“. In der Klangarbeit geht es darum, die Möglichkeiten des Instruments mit den individuellen Klangwünschen des Musikers in Übereinstimmung zu bringen. „Klangarbeit biete ich natürlich auch für Instrumente an, die nicht aus meiner Werkstatt stammen.“
Der Weg zum konzertfähigen Instrument bedarf vieler einzelner Arbeitsschritte von Hand bis der erste Ton erklingen kann:
Zuerst wird der Zargenkranz gefertigt. Er bildet die gebogenen Seitenwände des Instruments. Dann werden die Decke aus Fichte und der Boden aus Ahorn- Holz gefugt und ausgesägt. Der Rand wird gestaltet und die dekorative und das Instrument schützende Intarsie eingelegt. Die Wölbungen werden grob abgestochen und mit Hobeln und Ziehklingen geformt. Von der Innenseite wird genau so viel Holz weggenommen, dass Decke und Boden, die Resonanzflächen, optimal schwingen können. Jetzt werden die f-Löcher in die Decke geschnitten und danach der Bassbalken eingepasst.
Alle Teile können dann auf den Zargenkranz gesetzt und verleimt werden. Nachdem der Hals mit der spiralförmigen Schnecke geschnitzt ist, wird er in den Resonanzkörper eingepasst. Nach sorgfältigster Bearbeitung der Oberfläche wird im letzten Schritt die Bratsche lackiert.
Öllack und Pigmente bereitet Nele Jülch nach Rezepten aus dem 17. Jahrhundert selbst zu. Die Rezeptur beinhaltet u.a. Leinöl, Kolophonium und venezianisches Terpentin. Ist der Lack dann getrocknet, geglättet und poliert, montiert sie noch Griffbrett, Wirbel, Steg und Stimmstock und zieht dann die ersten Saiten auf.
Dann ist er da, der entscheidende Augenblick: „Das Instrument zum ersten Mal anzuspielen, ist immer von Neuem spannend.“ beschreibt Frau Jülch den faszinierenden Moment nach der Fertigstellung.
„Beim Bau von Instrumenten gilt es, ein Gespür zu entwickeln und über die Jahre zu verfeinern.“
Nele Jülch spielt seit ihrer Kindheit Geige. Ihre Liebe zu Malerei und Handwerklichem sowie die Liebe zur Musik kann sie als Geigenbauerin perfekt kombinieren. Sie greift in ihrer Arbeit auf eine breit gefächerte Ausbildung in Neubau, Klangarbeit und Restaurierung in England, Frankreich, Italien und Deutschland zurück
2009 erhielt sie den vom Bundeswirtschaftsministerium ausgelobten „Deutschen Musikinstrumentenpreis“ für Violine.
Am 28.11.2009 wird sie als Jahresbestmeisterin im Geigenbau-Handwerk von der Handwerkskammer München und Oberbayern geehrt.
Ihr Diplom und Ihre Arbeit als Gesellin hat sie an Institutionen mit Weltruf absolviert. Die Newark School of Violin Making schloss sie mit Diplom und Auszeichnung ab. Danach arbeitete sie u.a. 6 Jahre als Gesellin bei Carlson & Neumann in Cremona, danach bei Peter Erben in München.
In Cremona baute einst der größte Meister aller Geigenbauer, Antonio Stradivari, seine berühmten Instrumente. Durch ihre Arbeit als Restauratorin hat sie viele alte Instrumente in Händen halten und studieren dürfen. Die gesammelten Eindrücke haben Einfluss auf ihre neu gebauten Geigen, Bratschen und Celli. Beim Neubau bemüht sie sich darum, mit Bautechnik und Lackierung den Vorstellungen und Arbeitsweisen Alter Meister nahe zu kommen.
“Ich baue Instrumente nach Antonio Stradivari, Andrea und Nicolo Amati, Giuseppe Guarneri „del Gesú“ und anderen großen Vorbildern. Die Begeisterung für alte Instrumente war ein Grund, dass ich diesen Beruf ergriffen habe. Neue Instrumente faszinieren auf andere Art und Weise: sie sind die Frucht von Erfahrung, von vielen Gedanken und dem Austausch mit Musikern und Kollegen. Sie fangen gerade erst ihr Leben an, das länger dauern wird als die meisten Gegenstände, die uns sonst begleiten. Gut erhaltene und auch schön klingende alte Instrumente sind heute schon unerschwinglich. Deshalb trete ich an, um zu einem fairen Preis gut klingende und handwerklich schöne Instrumente anzubieten, “ erzählt uns die Künstlerin voller Begeisterung.
Fragen an die Expertin:
Worin besteht die Qualität einer guten Restaurierung?
„Restaurierung bedeutet, ein Instrument weitgehend in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Ihm Schönheit, gesunde Statik und Resonanzfähigkeit zurückzugeben. Bei der Arbeit dürfen originales Material wie Holz und Lack nicht angetastet werden.“
Was verstehen Sie unter Klangarbeit?
„Wenn Sie mit dem Klang Ihres Instruments nicht ganz zufrieden sind, ist zu überlegen, ob die klanglichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft sind. Oft kann man mit einfachen Mitteln viel verändern. Ein neuer, gut angepasster Stimmstock mit geeigneter Spannung kann z.B. einen schlecht fokussierten Ton runder und kraftvoller machen. Wenn das Instrument sowieso eine kleine Wartung braucht, wenn Randleimungen geprüft, das Griffbrett abgezogen und Saiten ausgewechselt werden, kann man gut über mögliche Verbesserungen reden. Wichtig ist mir dabei, gut zu verstehen, was jeder einzelne Musiker wünscht.“