(openPR) Die idyllische Oste, die bei Tostedt (Kreis Harburg) auf einer nassen Ponyweide entspringt und sich durch die Landkreise Rotenburg/Wümme, Stade und Cuxhaven schlängelt, ist mit fast 150 Kilometern der längste niedersächsische Nebenfluß der Elbe, zugleich aber auch der unbekannteste – eine über weite Strecken weltabgeschiedene grüne Idylle mit Eisvögeln und Fischottern im Oberlauf und Seehundbänken in der Mündung.
„Die Ostsee?“ – so fragen Hamburger oder Bremer regelmäßig nach, wenn von der Oste die Rede ist. Auf die Klarstellung, der Fluß und nicht das Meer sei gemeint, folgt oft ein zweites Mißverständnis: „Ach, die Este?“
Im Gegensatz zur Este, dem prominenten Kirschblütenfluß im Alten Land, lag der stille Strom droben im nassen Elbe-Weser-Dreieck, der das Land Hadeln vom Land Kehdingen trennt, lange Zeit abseits des allgemeinen Interesses. Ursache war einerseits sein Verlauf fern der großen Städte, andererseits die Zerstückelung des Flusses durch die Grenzen von Landkreisen und der Einzugsgebiete von Heimatzeitungen.
Das Fehlen eines „Oste-Bewußtseins“ erleichterte es beispielsweise den Touristikern in Stade, jahrzehntelang vorzugsweise ihre pittoreske Hansestadt und das Alte Land zu vermarkten. Ihre Fachkollegen in Cuxhaven wiederum warben lange Zeit lieber für die Nordseeküste als für den abgelegenen Fluss an ihrer Kreisgrenze.
Alleinstellungsmerkmal
europaweit einzigartig
Als ein Entwicklungsgutachten im Herbst 2003 der Oste-Stadt Hemmoor zwar ein beachtliches Naturpotenzial, zugleich aber touristische Defizite bescheinigte, wurde die Unternehmergemeinschaft der Stadt initiativ. Sie machte sich daran, das markanteste „Alleinstellungsmerkmal“ der Oste-Region für die Image- und die Tourismuswerbung zu nutzen: die 1909 von dem Eiffel-Schüler Louis Pinette gebaute, in ihrer Konstruktion europaweit einzigartige Schwebefähre zwischen Hemmoor und Osten.
Die Unternehmergemeinschaft griff damit einen Vorschlag auf, den der kurz zuvor in Spanien gegründete Weltverband der Schwebefähren entwickelt hatte: Das Technische Baudenkmal sollte gemeinsam mit seinem einzigen deutschen Pendant, der Schwebefähre über den Nord-Ostsee-Kanal zwischen Rendsburg und Osterrönfeld, touristisch vermarktet werden.
Zu diesem Zweck hatte der Weltverband eine neue deutsche Ferienstraße entworfen, übrigens die 150. ihrer Art: Eine von Bremervörde bis Kiel führende, etwa 250 Kilometer lange „Deutsche Fährstraße“ sollte alle Möglichkeiten erfahrbar machen, die der Mensch je ersonnen hat, ein Gewässer zu queren – von einer ehemaligen Furt (in Bremervörde) über historische Fähren sowie Klappbrücken (an der Oste) und die vier Elbfährschiffe (zwischen Wischhafen und Glückstadt) bis hin zu diversen Hochbrücken (über den Nord-Ostsee-Kanal) und schließlich den ebenso eleganten wie gigantischen „Kreuzfährschiffen“ im Ostseedienst (in Kiel).
"Frohe Fährien im frischen Norden"
Mitglieder der Unternehmergemeinschaft der Stadt Hemmoor und der Fördergesellschaft zur Erhaltung der Schwebefähre in Osten/Oste gründeten im Januar 2004 als Lenkungsgremium für die neue Ferienstraße und als „Lobby für die Oste“ eine Arbeitsgemeinschaft Osteland e.V. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder des neuen Vereins trassierten binnen weniger Wochen eine Auto-, eine Rad- und eine Bootswander-Route, entwarfen ein Logo und einen Slogan („Frohe Fährien im frischen Norden“) und schalteten eine Website (www.deutsche-faehrstrasse.de) frei – alles in Zusammenarbeit mit der Touristischen Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostsee-Kanal in Rendsburg.
Bereits im Mai 2004 konnte die neue Themenstraße, die insgesamt 55 martime Sehenswürdigkeiten verbindet, mit einem Festakt in Bremervörde eröffnet werden. Die Kieler Landesregierung lobte die Privatinitiative in einem Grußwort als Musterbeispiel länderübergreifender Kooperation. Die Kieler Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz bezeichnete die Ferienstraße als „eine der schönsten und zugleich aufregendsten Möglichkeiten, den Norden kennenzulernen“.
Eine von der Universität Kiel mit „Sehr gut“ bewertete geographische Diplom-Arbeit bescheinigte der Deutschen Fährstraße im Herbst 2004 bei entsprechender Weiterentwicklung des touristischen Angebots enorme Chancen. Zu einem ähnlich positiven Ergebnis kommt eine Studie der Landesinvestitionsbank Schleswig-Holstein, die ihrerseits die Möglichkeiten zur „Attraktivierung“ der Schwebefähre über den Nord-Ostsee-Kanal analysiert hat.
„Touristischer Ritterschlag“
Als die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) im März 2005 zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin die jüngste deutsche Ferienstraße auf Anhieb in die Liste ihrer „Top 50“ (von 150) Themenrouten aufnahm, empfand die AG Osteland diese Entscheidung als „touristischen Ritterschlag“ für ihr Projekt.
Um den Ausbau der „Fährienstraße“ zwischen Oste und Ostsee voranzutreiben, hat die AG Osteland unter Vorsitz des Touristik-Experten Gerald Tielebörger (Reisebüro Hemmoor) ein umfangreiches Arbeitsprogramm aufgestellt. Hilfreich war dabei eine Anschubfinanzierung durch den Hauptsponsor des Projekts, die regionalen Volksbanken.
Besondere Aufmerksamkeit widmete die Arbeitsgemeinschaft von Anfang an der Ostener Schwebefähre als dem überragenden Wahrzeichen des gesamten Ostelandes, in dem es kein anderes Bauwerk von ähnlich emblematischer Wirkung und zugleich touristischer Bedeutung gibt. Als die Schwebefähre, die in ihrer Funktion als Verkehrsträger 1974 durch eine Straßenbrücke abgelöst worden ist, im Herbst 2001 wegen technischer Defekte die beliebten touristischen Demonstrationsfahrten einstellen mußte, war ein spürbarer Einbruch des Tagestourismus an der Oste die Folge.
Spaniens Monarch
half dem Osteland
Im Sommer 2003 wurden nach einer gründlichen Untersuchung des Bauzustandes die Kosten für eine Reparatur der Fähre auf über 1,1 Million Euro beziffert. Daraufhin war das Schicksal der Fähre, deren Eigentümer der strukturschwache Landkreis Cuxhaven ist, im Wortsinne in der Schwebe.
Die Stimmung wendete sich zugunsten einer Reparatur, als die Fährfreunde prominente Unterstützung bekamen – von keinem Geringerem als dem spanischen König Juan Carlos I., dessen Land 1893 bei Bilbao das weltweit erste Bauwerk dieser Art errichtet hat. Der Monarch, seit 2003 Ehrenvorsitzender des Schwebefähren-Weltverbandes, rief die Weltöffentlichkeit zur Bewahrung der letzten acht Exemplare dieser Art auf; außer in Bilbao, Osten und Rendsburg sind solche Meisterwerke der Ingenieurskunst einer versunkenen Epoche nur noch in Buenos Aires (Argentinien), Rochefort sur Mer (Frankreich) sowie in Middlesbrough, Newport und Warrington (Großbritannien) erhalten geblieben.
Dass die Bundesregierung wenig später die Schwebefähre in Osten in den Rang eines Baudenkmals von „nationaler kultureller Bedeutung“ erhob und die Herausgabe einer Sondermarke zum 100-jährigen Bestehen am 1. Oktober 2009 in Aussicht stellte, unterstrich die Bedeutung des Bauwerks. Der Denkmalschützerin des Landkreises Cuxhaven, Bauamtfrau Birgit Greiner, gelang es daraufhin, bei europäischen und anderen Institutionen die erforderlichen Fördermittel in Höhe von rund einer Million Euro einzuwerben. Auswärtige Zuwendungsgeber hatten vor allem an der Einbindung des Bauwerks in das länderübergreifende Konzept der Deutschen Fährstraße Gefallen gefunden.
Erwacht aus dem Dornröschenschlaf
Zwecks „touristischer Inwertsetzung“ des Bauwerks, dessen Wiederinbetriebnahme für August erwartet wird, setzt sich die AG Osteland für die Einrichtung eines Besucherzentrums bzw. eines Fährmuseums in Osten ein. Der Ostener Rat hat jüngst die Abhaltung eines jährlichen „Fährmarkts“ beschlossen. Außerdem wurde eine Partnerschaft mit Osterrönfeld bei Rendsburg besiegelt, dem zweiten deutschen „Schwebefährendorf“. Spendern vor allem aus der örtlichen Wirtschaft ist es zu verdanken, dass die Fähre demnächst nachts illuminiert werden kann.
Die erfreuliche Entwicklung rund um den „Eiffelturm des Nordens“, den Pessimisten vor zwei Jahren schon aufgegeben hatten, hat mittlerweile entlang des Stroms zu einer Art „Ostealgie“ beigetragen, wie die „Bremervörder Zeitung“ schrieb. Der vergessene Fluß, kommentierte das „Stader Tageblatt“, erwache aus seinem „Dornröschenschlaf“.
Die Mitgliederzahl der AG Osteland hat sich binnen eines Jahres von 10 auf 70 erhöht; alle sechs Samtgemeinden entlang der Tide-Oste sowie die Stadt Bremervörde sind mittlerweile korporative Mitglieder. Darüber hinaus sind Dutzende von Kommunalpolitikern, Gastronomen und Vorsitzenden von Gewerbe-, Heimat-, Angel-, Wassersport-, Naturschutz- und Touristikvereinen zwischen Tostedt und Neuhaus beigetreten.
Windmühlen und Spitzturmkirchen
Ziel des Vereins ist es, die unbekannte Oste einer breiten Öffentlichkeit als „Fluss der Ferienfreuden“ darzustellen. Wassersportler etwa können nicht nur in Neuhaus/Oste Wasserski fahren oder in Hemmoor im Kreidesee tauchen, der kürzlich als beste Tauchbasis in den deutschsprachigen Ländern ausgezeichnet worden ist, sondern auch rudern, segeln und Kanu fahren oder führerscheinfreie Wohnboote chartern.
Wer es gemächlich mag, bucht eine Tour auf dem ältesten motorbetriebenen Fahrgastschiff Deutschlands, der schneeweißen „Mocambo“. Das ist portugiesisch, heißt soviel wie Glückseligkeit – und paßt irgendwie zu der Postkartenidylle rechts und links der Oste mit ihren Obsthöfen und Pferdeweiden, Windmühlen und Spitzturmkirchen, Lachmöwen und Haubentauchern.
„Ganz entspannt durchs Osteland“, so der Mocambo-Slogan, können sich auch Radfahrer bewegen: Sie finden ein weites, flaches Revier mit einem engmaschigen Wegenetz vor. Für Wohnmobilisten gibt es ausreichend Stellplätze. Und Angler schätzen das saubere Wasser des Flusses, der über 85 Kilometer, bis tief ins Binnenland, von Ebbe und Flut bewegt wird. Die Oste beherbergt nahezu alle Fischarten von A wie Aal bis Z wie Zander. Dank der Wiederansiedlungserfolge der rührigen Sportfischervereine ist er sogar dem bereits ausgerotteten „König der Fische“ zur neuen Heimat geworden – der stille Strom gilt laut Fachpresse als Deutschlands „Lachsfluß Nummer eins“.
Fluß von Rühmkorf und Kempowski
Um die verschlafene Flußlandschaft durch gezielte Förderung eines sanften Tourismus „zu wecken, aber nur ein bißchen“ (Vorsitzender Tielebörger), erstellt ein „Arbeitskreis Touristik/Deutsche Fährstraße“ der AG Osteland derzeit Zielgruppen-Faltblätter und Plakate sowie ein Gästeführerkataster.
Ein „Arbeitskreis Kommunales“, in dem sechs Hauptverwaltungsbeamte mitwirken, diskutiert unter anderem einen Bedarfsplan für Fahrgastschiff- und Bootsanleger, der in das „Integrierte Ländliche Entwicklungskonzept Kehdingen/Oste“ (ILEK) einfließen soll, das Heiner Ehlen, der niedersächsische Minister für den ländlichen Raum, auf den Weg gebracht hat.
Der Kulturraum Oste wiederum ist Thema des "Arbeitskreises Kultur/Natur", der unter dem Titel „Unbekannte Oste“ sonntägliche Themen-Exkursionen mit Schiff und Doppeldeckerbus, Kutsche und Kleinbahn organisiert.
Dem „Fluß der Ziegeleien“, dem „Fluß zwischen den Mooren“, dem „Fluß der Naturerlebnisse“ und dem „Fluß der Museen“ sind die ersten „Exkursionen in die Nachbarschaft“ gewidmet. Folgen soll unter anderem eine Veranstaltung über die Literaturlandschaft zwischen Elbe und Weser – die Oste ist schließlich auch der Fluß von Berühmtheiten wie Walter Kempowski und Peter Rühmkorf.
Die wahre Liebe der Lilo Wanders
Der Schauspieler Ernie Reinhard, bekannt als Darsteller der TV-Kult- und Kunstfigur Lilo Wanders, schwärmt in seinem Reet-Retiro hinterm Deich von den Vorzügen der Oste. Wem ihre „wahre Liebe“ gehört, verrät die langjährige Zentralfigur der gleichnamigen TV-Serie immer mal wieder der Lokalpresse: „Ich habe hier schon nachts draußen gestanden. Bei Vollmond sah ich Raureif auf den Gräsern. Die Weite und der Frieden, der von diesem Landstrich ausgeht, trieben mir Tränen in die Augen.“
Spürbar war die neue Zuversicht in die Zukunft der Flußlandschaft beim „1. Tag der Oste“, den die AG Osteland am 13. März unter der Schirmherrschaft der Landräte aus Cuxhaven, Stade und Rotenburg/Wümme mit 170 Vertretern aus Vereinsleben, Wirtschaft und Politik feierte, darunter Prominente wie der niedersächsische CDU-Fraktionsvorsitzende David McAllister, dessen Wahlkreis an die Oste grenzt, und Ex-Wirtschaftsminister Dr. Peter Fischer (SPD) aus Cuxhaven.
"Oste-Oscar" mit Krone und Flügeln
Höhepunkt der Veranstaltung war die Verleihung eines mit 3000 Euro dotierten und in sechs Kategorien vergebenen Oste-Kulturpreises, scherzhaft „Oste-Oscar“ genannt.
Geehrt wurden die Schriftstellerin Elke Loewe, Drochtersen (Literatur), die Journalistin Grit Klempow, Stade (Medien), die Sportangler Ernst Peters, Zeven, und Egon Boschen, Lamstedt (Naturschutz), Bauamtfrau Birgit Greiner, Cuxhaven (Denkmalschutz), die Diplom-Geographin Silvia Bochmann, Kiel (Wissenschaft) und der Fährmann und Gastronom Helmut Plate, Gräpel (Tourismus / Unternehmertum).













