(openPR) Ausbildung für hörgeschädigte und gehörlose Jugendliche
Auf lauten Sohlen wandert der Lärm durch die Halle. Lange Reihen von Werkbänken sind mit Schraubstöcken bestückt. Junge Männer beugen sich über ihre Werkzeuge und begutachten ihre Arbeit. Einige tragen eine Schutzbrille und einen Gehörschutz, andere nur die Schutzbrille. Zum Beispiel der 22-jährige Sven Krannich. Ihm macht der Lärm nichts aus. In seiner Welt sind Gesten beredt und Töne nichts sagend. Der hochaufgeschossene junge Mann mit dem Pferdeschwanz kann nicht hören. Er spricht, indem er mit seinen Fingern behände Gebärden formt. Wie die anderen hier in der Lehrwerkstatt des Bergwerks Walsum ist Krannich Auszubildender. Die zur RAG gehörende Deutsche Steinkohle AG (DSK) bildet in Duisburg hörende und hörgeschädigte Jugendliche gemeinsam aus.
Krannich macht eine Ausbildung zum Industriemechaniker und steht bei unserem Besuch kurz vor seiner Facharbeiterprüfung. Schon die Berufsbezeichnung ist für ihn ein schwieriges Wort, für das sich Ausbilder und Lehrlinge auf eine Gebärde geeinigt haben. Der kleine Finger wird hochgehalten, während die anderen Finger nach unten wie zu einer Faust greifen. In dieser Haltung wird die Hand von unten nach oben geführt. Das ist der Buchstabe "i" im Alphabet der Gebärdensprache. Die Ausbilder formen dazu mit den Lippen das Wort "Industriemechaniker".
Zusammen mit Sven Krannich machen 13 weitere Hörgeschädigte und Gehörlose die Ausbildung. Zur Auswahl stehen Berufe wie Elektroniker für Betriebstechnik, Industriemechaniker, Teilezurichter und Mechatroniker. Die Ausbildung dauert dreieinhalb Jahre, nur der Teilezurichter ist bereits nach zwei Jahren fertig. Wegen dieses sozialen Engagements ist die RAG auch gerade unter die ersten Drei im Wettbewerb "Beschäftigung gestalten - Unternehmen zeigen Verantwortung" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Initiative für Beschäftigung gewählt worden. 159 Unternehmen hatten an dem Wettbewerb teilgenommen, 14 kamen in die Endrunde - darunter auch die RAG, nominiert in der Kategorie "Angebote für besondere Zielgruppen". Konzept und Umsetzung haben die Jury überzeugt. Überdies spielte eine Rolle, dass der RAG-Konzern mit einer Ausbildungsquote von insgesamt 7,6 Prozent deutlich über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet.
Bereits seit 1986 bietet die DSK die Ausbildung für hörgeschädigte und gehörlose Jugendliche an. "2006 haben wir also 20-jähriges Jubiläum", sagt Peter Breiing, seit Januar Leiter der Organisations- und Personalentwicklung auf dem Bergwerk Walsum. Und sein Vorgänger Joachim Klups erinnert sich an die Anfänge, als das Lehrangebot für die besondere Gruppe startete. "Ich werde das erste Jahr nicht vergessen: Da haben wir zwar nur mit drei Auszubildenden angefangen, aber die haben richtig gute Prüfungsergebnisse hingelegt. Aus den ersten drei Lehrlingen sind inzwischen 97 geworden, die wir ausgebildet haben", meint Klups nicht ohne Stolz. Während die ersten Lehrlinge noch bis zu einem gewissen Grad hören können mussten, können heute auch Gehörlose ausgebildet werden.
Zwölf der Ausbilder beherrschen die Gebärdensprache, um mit den Jugendlichen kommunizieren zu können. Sie haben in Schulungen und Kursen die Sprache mit den Gebärden erlernt. Aber, wie bei anderen Sprachen auch, ist der Weg zur Perfektion weit. "Für die alltägliche Kommunikation reicht es, aber bei Bewerbungsgesprächen etwa haben wir immer eine Dolmetscherin dabei", erklärt Breiing. "Da wird es oft schwierig." Denn gerade dann ist es besonders wichtig, dass sich alle richtig verstehen. Besonders für den Kandidaten, der Fragen umfassend beantworten muss und seine Persönlichkeit darstellen will.
Hörgeschädigte Bewerber müssen genau wie alle anderen ihre Eignung unter Beweis stellen. Sie unterziehen sich einem Test, der sich im Wesentlichen nicht von dem Test für normalhörende Kandidaten unterscheidet. "Er ist textlich vereinfacht, aber inhaltlich gleich", erklärt Klups das Prozedere.
Was aber, wenn die Lehrlinge ihre Prüfung erfolgreich absolviert haben? "Leider können wir nicht alle übernehmen. Aber das machen wir von Anfang an klar", erklärt Breiing. Die RAG liegt mit einem Anteil an Schwerbehinderten von 16 Prozent der Belegschaft schon weit über der gesetzlich vorgeschriebenen Quote. Für die Jugendlichen sei dies aber auch nie ein Problem gewesen. "Wir lassen keinen im Regen stehen, sondern sind behilflich bei der Stellensuche", so Breiing. Tatsächlich gibt es eigens Personalvermittler, die den jungen Menschen zur Seite stehen.
Das besondere Ausbildungsangebot zieht hörgeschädigte Jugendliche aus ganz Deutschland an den Niederrhein. Denn für sie ist es noch schwerer als für Normalhörende, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Das Angebot ist besonders knapp. Und nicht jeder Betrieb ist hörbehinderten Bewerbern gegenüber aufgeschlossen oder auf die damit verbundenen Anforderungen - auch an die Ausbilder - eingestellt. Deshalb nehmen die Lernwilligen einen Umzug in Kauf. Fünf bis sechs hörgeschädigte Jugendliche finden pro Jahr auf dem Bergwerk Walsum eine Ausbildungsstelle. Insgesamt arbeiten hier rund 520 Lehrlinge.
Im Betrieb arbeiten beide Gruppen gemeinsam. "Es ist ja auch schließlich die gleiche Ausbildung", betont der Personalentwickler. Nur in der Berufsschule sind die Azubis getrennt. Die hörgeschädigte Gruppe geht in eine Spezialschule in Essen. Dort gibt es kleinere Gruppen, und es wird mit Gebärden unterstützt gelehrt. Der Schulunterricht findet in drei- bis vierwöchigen Blöcken statt. Da gilt es denn auch die Fachbegriffe zu vertiefen.
Die Schulbücher unterscheiden sich nicht von denen der normalhörenden Kollegen. Die Theorie ist deshalb nicht ganz einfach für die Azubis, zu kompliziert sind die Inhalte manchmal formuliert. Die hörgeschädigten Auszubildenden benutzen die gleichen Werkzeuge und Maschinen wie die anderen auch. Allerdings konnte mit Zuschüssen des Landschaftsverbandes Rheinland eine Halle mit Maschinen für sie ausgestattet werden. "Es ist jedoch keine Insellösung", betont Breiing. "Das Miteinander von hörenden und hörgeschädigten Jugendlichen ist ganz normaler Alltag hier." Nur bei der Steuerungstechnik gebe es visuelle Hilfe durch Computer. "Wir haben hier aber keinen in Zuckerwatte gepackt", formuliert Klups forsch und ergänzt: "Natürlich gibt es auch mal Stress, aber das kommt ja in der besten Familie vor."
Fragen der Sicherheit sind streng geregelt. Alarmsignale etwa werden nicht nur akustisch, sondern auch mit Blinkleuchten visuell ausgegeben. Unter Tage können die hörgeschädigten Azubis nicht arbeiten. Das Sicherheitsrisiko ist zu groß. "Unter Tage können sich die Bedingungen jeden Tag ändern, da ist man auch auf das Gehör angewiesen", so Klups.
Sven Krannich deutet in Gebärdensprache an, dass es schwer ist, als Gehörloser eine Lehrstelle zu finden. Er selbst habe die Adresse von der Gehörlosenschule in Essen bekommen. Dort ist er zur Schule gegangen und hat die Mittlere Reife der Realschule gemacht. Vor der Prüfung zum Industriemechaniker hat der 22-Jährigen keine Angst. "Die Arbeit macht Spaß, nur die Theorie ist nicht so toll", sagt er, indem er seine Finger tanzen lässt. Dirk Poggenpohl, 41, Ausbilder für Maschinentechnik, übersetzt die Gesten in Lautsprache.
Er ist vor 19 Jahren, als die DSK die Lehre für Hörgeschädigte und Gehörlose einführte, zum ersten Mal mit der Gebärdensprache in Berührung gekommen. "Damals habe ich mir das nicht vorstellen können, aber heute ist das tagtägliches Geschäft – und macht Spaß", sagt Poggenpohl gestenreich. Das Gestikulieren beim Sprechen ist ihm augenscheinlich in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn er mit den hörgeschädigten Auszubildenden in der Gebärdensprache kommuniziert, artikuliert er deutlich, damit sie die Lippenbewegungen lesen können. "Ich habe von den Jugendlichen viele Gebärden gelernt", berichtet er. Auch in Seminaren der Gehörlosenschule Essen hat er die Gebärdensprache studiert. Wenn aber die "Finger fliegen", dann versteht auch Poggenpohl nicht mehr, was die Jugendlichen sagen. "Das geht dann zu schnell für mich", lacht er. Wenn ihm selbst einmal die Gebärden ausgehen, greift er auf Hand und Fuß zurück.
Der Kontakt unter den Lehrlingen sei gut, bestätigt er. Da sind sich Ausbilder, Lehrlinge und Personalentwickler Breiing einig. Sie sind überzeugt, dass sich die Integration der hörbehinderten Jugendlichen in das Ausbildungsprogramm positiv auf das Klima in den Ausbildungswerkstätten auswirkt.
Sven Krannich schaut ein wenig schüchtern drein bei der Frage, ob er durch seine Ausbildung mehr Selbstvertrauen gewonnen habe. Bejaht sie dann aber sofort. Das ist ihm auch bei der Prüfung zu gute gekommen. Mit Bravour hat er bestanden. Auch um seine Zukunft ist ihm nicht bang. Eine Arbeit finden nach der Lehre, das wäre toll. Wenn es damit nicht sofort klappt, dann möchte Krannich die Fachoberschule besuchen.
Abdruck honorarfrei mit Quellenangabe
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Die RAG Aktiengesellschaft, Essen, ist ein internationaler Energie- und Chemiekonzern mit einem Umsatzvolumen von rund 19 Mrd. EUR. Der Konzern beschäftigt rund 100.000 Mitarbeiter. RAG verfolgt ein Vier-Säulen-Geschäftsmodell mit den Schwerpunkten Energie und Chemie unter Beibehaltung ihrer klassischen Geschäftsfelder Bergbau und Immobilien.
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Bild 1:
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Bildunterschrift:
Ausbilder Poggenpohl erklärt Sven Krannich (re.) in Gebärdensprache den Umgang mit den Maschinen. (Foto: Bootmann)
Bild 2:
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Bildunterschrift:
Hörende und hörgeschädigte Jugendliche werden zusammen ausgebildet. Hier: Sven Krannich (li.) mit Azubi-Kollege Timo Schöning. (Foto: Bootmann)
Bild 3:
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Bildunterschrift:
(v.l.n.r.) Sven Krannich, Joachim Klups, Dirk Poggenpohl und Timo Schöning. (Foto: Bootmann)
Feature:
http://www.directnews.de/servlets/LoadBinaryServlet/1100065/RAG_Feature.pdf
Feature-Service Nr. 2